Natürlich klingt das erst einmal gut: Die muslimische Gemeinde lädt am Dienstagabend zum Neujahrsempfang in die Moschee in Berlin-Pankow, es kommen auch hochrangige Repräsentanten anderer Weltreligionen, es kommen Politiker von den Grünen bis zur CDU, es soll symbolisch Harmonie und Toleranz bewiesen werden. Sogar die MÄNNER-Redaktion bekam eine Einladung, auch zum anschließenden „orientalischen Buffet“. Das Ganze stand unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Man könnte als Schwuler sagen: Wie schön!
Doch so einfach war die Sache dann leider doch nicht. Die Ahmadiyya Muslim-Gemeinde, die einlud ins etwas abseits gelegene Pankow-Heinersdorf, gilt als Reformgemeinschaft, die Ende des 19. Jahrhunderts mitten in einer Vielzahl von Bildungsbestrebungen und Erneuerungsbewegungen der islamischen Welt entstand, und zwar in Indien. Ihre Berliner Moschee, die neu errichtet wurde neben einem McDonald-Drive-through, ist optisch ein eher bescheidener Bau. Er hat weder den „rough charm“ der Hinterhofmoschee am Kottbusser Tor, die man aus Serien wie „Homeland“ kennt, noch den Prunk einiger Neubauten in den hyperreichen Golfstaaten. In dieser mit weichem grünem Teppich ausgelegten Halle fand nun also das Zeremoniell statt.
Imam Said Ahmed Arif am Rednerpult. (Foto: Privat)
Der junge Imam Said Ahmed Arif gab einen Jahresrückblick, der von Moscheeneubauten in Deutschland handelte, vom Bäumepflanzen vorm Kanzleramt, um zu zeigen, dass auch Muslime in Deutschland Wurzeln schlagen, von Aktionen wie der Aufräumaktion junger muslimischer Männer am 1. Januar, die Straßen von Böller-Dreck befreiten.
Erwähnt wurden auch die Terroranschläge von Paris, zu denen sich die Ahmadiyya Muslim-Gemeinde medienwirksam geäußert hat mit den Worten „Nicht in unseren Namen“.
Desweiteren zeigte ein Videoclip, wie Muslime Blut spenden, Sportevents für junge Menschen organisieren, Alte und Bedürftige betreuen, an Flüchtlinge Essen austeilen. Das volle Wohlfahrtprogramm.
Vor der Moschee war ein Tisch aufgebaut mit Infomaterial zum Mitnehmen – auf Deutsch. Darin geht’s darum, den Islam als Religion und Weltanschauung zu erklären („Allah […] verfügt über die wunderbarsten und schönsten Eigenschaften“ oder „Die Botschaft des Qur’an ist allumfassend“). Es geht auch um die Rolle der Frau, ums Christen- und Judentum und das Verhältnis zu diesen Glaubensrichtungen. Aber: Es gab nirgendwo ein Infoblatt, geschweige denn Heft, zum Umgang mit LGBTI-Menschen. Eine Frage, die aktuell wegen der asylsuchenden Flüchtlinge ja eine gewisse Dringlichkeit hat.
Informationsmaterialien zum Mitnehmen vor der Moschee der Ahmadiyya Muslim-Gemeinde in Berlin. (Foto: Privat)
Darauf angesprochen, erklärte mir Muhammad Asif Sadiq, Assistent des Nationalsekretärs für externe Angelegenheiten, Abteilung Presse-, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, dass es solche Publikationen nicht gäbe, weil der Koran klar sei in seiner Beurteilung von Homosexualität: Sie sei gleichzusetzen mit dem Essen von Schweinefleisch und mit Ehebruch. Es könne keinen gläubigen Muslim geben, der Homosexualität praktiziere. Die einzige Option für entsprechend veranlagte gläubige Muslime sei – genau wie in der katholischen Kirche – keusch zu leben. Um Martina Schradis Aufklärungscomic zu Gender- und sexueller Vielfalt zu zitieren: „Ach so ist das!“
Trotzdem könnte man ja erwarten, dass im Rahmen der ziemlich umfassenden Bildungs- und Aufklärungsmaterialen zu Position-und-Verhalten gegenüber allen möglichen Gruppen (Juden, Christen etc.) auch ein ausformuliertes Statement zum Umgang mit LGBTI-Personen angebracht wäre, zum Beispiel denen, die sich nicht als gläubige Muslime sehen, aber trotzdem aus der Arabisch sprechenden Welt zu uns kommen und bei Ämtern und Behörden Hilfe brauchen. Gerade dort treffen sie auf Vertreter der deutschen muslimischen Gemeinden, die beim Übersetzen helfen. Und bekanntlich verlaufen diese Übersetzungsbegegnungen mit LGBTI-Menschen derzeit nicht besonders positiv, wie unlängst der LSVD bei einer Veranstaltung mit dem Bischof von Berlin klarmachte.
Immerhin verwies Muhammad Asif Sadiq darauf, dass seine Gemeinde vergleichsweise tolerant sei. Schließlich habe sich ihr Oberhaupt, Kalif Mirza Masrur Ahmad aus London, bei seinem Berlinbesuch sogar mit Klaus Wowereit als damals noch Regierendem Bürgermeister getroffen.
Solch eine Begegnung hätten anscheinend viele streng gläubige Muslime abgelehnt, um sich nicht zu verunreinigen.
Was für mich nur noch einmal deutlich machte, wie wichtig es wäre, hier offiziell die Gemeindemitglieder aufzuklären, dass man sich nicht „beschmutzt“, wenn man Wowereit und anderen homosexuellen Personen die Hand schüttelt oder ganz allgemein mit ihnen in der Zivilgesellschaft verkehrt. Aber: Das passiert nicht, trotz aller symbolischen Aktionen; noch nicht einmal bei dieser Reformgemeinschaft. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie die Reaktionen bei nicht reformierten Gemeinden im Hinterhof am Kottbusser Tor ausfallen würden.
Die weitere erstaunliche Erfahrung an dem Abend war für mich, dass das LGBTI-Thema auch sonst von niemandem angesprochen wurde. Auch nicht von einer Sprecherin von Die Grünen/Bündnis 90, auch nicht von einem Vertreter der CDU. Obwohl gerade die Konservativen in letzter Zeit öfter darauf hingewiesen haben, dass man das Thema Akzeptanz und Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen (vermutlich meinen sie auch Transsexuelle) in die Integrationskurse für muslimische Flüchtlinge aufnehmen sollte. Offensichtlich war’s beim Neujahrsempfang niemandem ein Anliegen, darauf einzugehen, auch nicht dem Repräsentanten der Polizei in Galauniform, der lieber betonte, wie freundschaftlich die Zusammenarbeit verlaufe – weswegen ein Kooperationsvertrag verlängert wurde auf unbefristete Zeit.
Der S-Bahnhof in der Nähe der Moschee in Berlin-Pankow.
Irgendwann an Dienstagabend beschlich mich ein sehr seltsames Gefühl: Da saß ich also irgendwo in Pankow-Heinersdorf, neben einer McDonald-Filiale, in einem von Polizeiautos umlagerten Gebäude, mit lauter Menschen, die auf Socken herumliefen, wo Politik und Polizei den Schulterschluss suchten mit Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften. Und deren Führer nehmen für sich in Anspruch, auf Basis ihrer vermeintlichen Nähe zu Gott anderen sagen zu dürfen, wie sie leben sollen und wie sie ihre Mitmenschen – beispielsweise homosexuelle – zu behandeln haben? In diesem Fall: wie Schweinefleisch und Ehebrecher.
Vielleicht liegt es an mir, dass ich nach Jahrzehnten von Kämpfen und Krämpfen mit der katholischen Kirche genug davon habe, von irgendwelchen Päpsten und Patriarchen erzählt zu bekommen, wie schrecklich die Homoehe und der „aggressive Säkularismus“ sei, den man derzeit erleben müsse. Ich persönlich finde die schweigend akzeptierte Machtstellung von Glaubensvertretern viel schrecklicher, die einem nicht nur beim Neujahrsempfang im Randbezirk Pankow begegnet, sondern täglich im staatlich subventionierten Fernsehen und Radio sowie im öffentlichen Raum. Hier wie dort könnte man gar nicht genug Informationsbroschüren auslegen.
Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Muhammad Asif Sadiq beim Neujahrsempfang der Ahmadiyya Muslim-Gemeinde sehr freundlich darauf hinwies, dass seine Gemeinde durchaus bereit wäre, mit homosexuellen Gruppen oder Magazinen wie MÄNNER in den Dialog zu treten, wenn man einen Termin machen möchte, bei dem er seine Antwort ein bisschen besser vorbereiten könne. Vielleicht sollte man ihn hier beim Wort nehmen und genauso medienwirksam eine Veranstaltung auf LGBTI-Seite planen?
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